Haus der Düfte testet: CHAPEL FACTORY „Baptisma“ – Eine Kathedrale der Frische
Klaus-in-da-Haus: Klaus vom Haus der Düfte testet und empfiehlt
►►► Chapel Factory: „Baptisma“ / Eau de Parfum 100 ML Vapo / Kreateurin: Anais Beguine / Unisex
Weihrauch (bitte nicht aufhören weiterzulesen), ja, Weihrauch, aber dekonstruiert und verblüffend nuancenreich eingesetzt, steht im Mittelpunkt der Kreationen von Chapel Factory Chapel Factory ist eine junge Marke, die sich zu Gris Gris und Jardins d’Ecrivains im Hause der Schöpferin, Anais Biguine, gesellt. Die Marke ist von Weihrauchdüften inspiriert, aber die Kompositionen, die um dieses Thema entwickelt wurden, vermitteln ein puristisches, minimalistisches Gefühl, was dazu führt, dass die Düfte „trotz des Weihrauchs“ sich nicht schwer oder altmodisch anfühlen. Und sie sind in ihrer Reinheit trotzdem so komplex und lyrisch, dass sie zu allen möglichen Assoziationen hinreißen. Dem Mysthiker bedienen sie den Hang zum Mysthischen – dem Puristen geben sie Klarheit.
Mit diesen Antipoden unserer Bedürfnisse („schwarz und weiß“, „Engel und Teufel“, „Gut und Böse“, „brav und verrucht“ usw.) spielen die Düfte ganz gezielt. Jedes EdP kommt in einem schwarzen Samtsäckchen daher. Die Flakons sind von klarer, leicht bauchiger Einfachheit und erinnern, mit ihren schwarzen Hauben, durchaus an Mönche, Nonnen, Zwiebeltürme (Frauenkirche München) oder eben, wenn man lieber rational auf die Welt blickt, an Objekte des Konstruktivismus oder an Apothekerfläschchen.
Ich würde „Baptisma“, der hier besprochen werden soll, zu den frischen Düften zählen. Ich selbst war nie ein Fan von frischen Düften. Und niemanden als mich selbst überrascht daher mehr, dass ich „Baptisma“ für ein Meisterwerk halte.
Zunächst zum Thema Sillage und Langanhaltigkeit. Diese ist, und das muss mal so direkt gesagt werden, kein vordringliches Qualitätsmerkmal für Parfumkunst. Auch nicht bei teueren Parfums. Ein hochpreisiger Duft ist keine Miele-Waschmaschine – er hat nicht in erster Linie „lange anzuhalten“. Düfte funktionieren nicht wie Technik. Legen wir an sie nicht die Maßstäbe des Leistungsprinzips an. Der britische Blogger The Sniff bringt es gut auf den Punkt:: „Baptisma ist nicht einer dieser lauten Düfte mit nuklearer Projektion und dem Durchhaltevermögen von Plastikmüll.“ So ist es! Feinstoffliche Kompositionen buhlen nicht penetrant um unsere Aufmerksamkeit und kleben fett über Stunden in den Sphären. Die Spannweite von Baptisma hat Umarmungsdistanz und etwas darüber hinaus. Ist aber so intim und fein, dass niemand im Raum sich seiner Betörung entziehen kann und sich gleichzeitig niemand jemals von ihm belästigt fühlt. Zauber und Aura statt Hoppla-jetzt-komm-ich! Nach dem Auftragen von etwa 2 kräftige Sprühern ist seine Verweildauer in ungeminderter Intensität etwa 4 Stunden, danach klingt er noch längere Zeit in angenehm gemilderterter kristalliner Lautstärke nach, dank der Moschusbasis,.
„Baptisma“ ist insgesamt ein sehr lyrischer, kristalliner, durch und durch beruhigender Duft. Woher nimmt er nur seine Frische, die gleichzeitig hell und spritzig, im Unterton aber auch selbstbewusst, kernig und, ja, sakral ist? Diese Art von spannender Frische ist mir bislang selten untergekommen. Er gibt Raum zum Atmen. Die einzelnen Komponenten kleben nicht, wie in vielen Produkten des Massenmarktes, eng, gepresst und sklavisch aneinander.. Anais Beguine zog die Intervalle der Formel schön weit auseinander, so dass jede einzelne Komponente zur Geltung kommt und es sich anfühlt, als würden sie in der Luft schweben und miteinander tanzen. Ein Duft in der perfekten Harmonie mit sich selbst. Und somit mit Träger und Träger*in. „Beruhigend“ fällt einem ein. Vielleicht noch „ästhetisch“ und „gelassen“. Gleichzeitig aber auch „geheimnisvoll“ und „sinnlich“. Müsste man die Düfte der Chapel-Kollektion mit einem Soundtrack unterlegen, würde Vielen vielleicht ein Musiktitel wie „Sadeness Part 1“ von ENIGMA in den Sinn kommen? Klar, simpel, und doch sinnenfroh und sexy. Aber auch sensitive Klavierstücke wie Debussy’s „Claire de Lune“ mögen einem einfallen. Oder doch dunkelromantischer Synthisound der 80er?
In Beguines Formel der Vielschichtigkeit stecken: Bergamotte, Ingwer, Eisenkraut, Jasmin, Neroli, Milch, Weihrauch, Eichenmoos, weißer Moschus. Die Milchigkeit, die für eine herrlich blass-süße Gourmande-Note sorgt, bewirkt die Assoziationen mit der Kindheit. Eingehüllt in „Baptisma“ fühlt man sich geborgen. Und das ist allerhand, was man von einem Parfum sagen kann! Baptisma („Taufe“) machte für mich persönlich seinem Namen alle Ehre – steht die Taufe doch für Kindheit und somit für Entdecken, auch: Neubeginn. Ich entdeckte durch ihn mein Faible für frische Düfte und ordnete meine Präferenzen neu.
FAZIT: „Baptisma“ ist eine der ungewöhnlichsten Neuererscheinungen im frischen Sektor. Der Duft hat etwas an sich, was einen sofort erdet und gleichzeitig in spirituelle Höhen versetzt. Daher ist er sowohl für die gemütlichen Zuhause-Momente in Jogginghose auf der Couch geeignet, als auch für die sündigeren Augenblicke, in denen man die subtile Kraft seiner unschuldigen Betörung sehr gut gebrauchen kann.